Die Bürgerinitiative
„Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt“ hatte bis gestern 12 000
Unterschriften gesammelt. Nach Ansicht von Experten hat sie jetzt gute
Chancen, ihr Ziel von 25 000 Unterschriften zu erreichen. Wie berichtet,
will sie damit die Privatisierung von Stadtfirmen vereiteln. In der
Initiative werden dafür verschieden Strategien diskutiert. In einem ersten
Schritt soll der Teilverkauf der Stadtwerke verhindert werden.
„Wir gehen davon aus, dass wir unsere 25 000
Unterschriften noch vor der Abstimmung im Rat zusammenbekommen“, sagt
Mitinitiator Mike Nagler. Obwohl Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD)
mittlerweile die geplante Verkaufssitzung des Rates vom 14. November auf
den 12. Dezember verschoben hat, will die Initiative ihre Sammlung
möglichst noch im November erfolgreich abschließen. „Wir bekommen jeden
Tag Anrufe und Angebote von Bürgern, die für uns sammeln wollen“,
beschreibt Mitinitiator und Schriftsteller Henner Kotte die Situation.
Sogar Gehbehinderte würden im Büro an der Marschnerstraße 5 anklingeln,
weil sie wollen, dass jemand bei ihnen vorbeikommt und sie unterschreiben
können. Trotz
dieser Entwicklung kann derzeit niemand völlig ausschließen, dass die
Unterschriftensammlung bei der Ratsentscheidung über den Anteilsverkauf
der Stadtwerke keine Rolle spielen könnte. Der Grund: Die sächsische
Gemeindeordnung schreibt vor, dass die Unterschriften vom Rathaus
überprüft werden müssen, um auszuschließen, dass einzelne
Privatisierungsgegner mehrfach unterschreiben oder Unterzeichner gar nicht
in Leipzig wohnen. Die sächsische Gemeindeordnung räumt der
Stadtverwaltung für diese Prüfung keinen festen Zeitraum ein – deshalb
könnte es theoretisch geschehen, dass der Rat den Anteilsverkauf der
Stadtwerke beschließt, noch während die Überprüfung läuft.
„Wenn uns am Abstimmungstag nur noch wenige
Stimmen fehlen oder die Überprüfung läuft, müssten die Stadträte ihre
Abstimmung eigentlich von sich aus aussetzen und abwarten, was die
Überprüfung ergibt“, meint Mitinitiator Wolfgang Franke. Auch Henner Kotte
sieht in diesem Fall die Stadträte in der Verantwortung. „Die meisten
Abgeordneten sind ehrenamtlich tätigt“, sagt Kotte. „Für sie kann es doch
nur von Vorteil sein, wenn wichtige Entscheidungen öffentlich hinterfragt
werden.“ Die Initiative sucht deshalb Kontakt zu allen Ortsverbänden von
CDU, SPD und FDP. „Wir bieten ihnen an, dass wir ihnen unsere Position
erläutern“, sagt Mike Nagler. „Bislang haben wir ein sehr positives Echo.“
Gleichzeitig werde versucht, Stadträte für die Position der Initiative zu
gewinnen. Die Ratsmitglieder sind allerdings in ihren Entscheidungen frei.
Sie könnten also auch ungeachtet des laufenden Bürgerbegehrens einen
Verkaufsbeschluss für die Stadtwerke-Anteile fassen und Oberbürgermeister
Jung anschließend den Kaufvertrag mit einem Bieter unterschreiben lassen.
Die Initiative hat bereits erklärt, dass sie
dann nicht aufgeben wird: Wenn der Privatisierungsbeschluss für die
Stadtwerke nicht verhindert werden könne, werde sie ihn im Nachhinein
anfechten, heißt es. Wie das in der Praxis funktionieren soll, ist
allerdings strittig. Die Privatisierungsgegner sagen, dass sie noch
geraume Zeit weiter Stimmen sammeln wollen – denn ihr Bürgerbegehren
richtet sich nicht nur gegen den Verkauf der Stadtwerke, sondern auch
gegen die Veräußerung anderer kommunaler Unternehmen wie der städtischen
Holding LVV, der Wasserwerke, der Verkehrsbetriebe, der Stadtreinigung,
des Krankenhauses St. Georg oder der Leipziger Wohnungs- und
Baugesellschaft.
Experten des Rathauses führen dagegen rechtliche Bedenken an. Ein
Bürgerbegehren könne sich nur gegen einen formellen Ratsbeschluss richten
– den es aber noch gar nicht gebe, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Deshalb könne trefflich darüber gestritten werden, ob die jetzt
gesammelten Unterschriften wirklich als Votum gegen einen
Privatisierungsbeschluss gewertet werden dürfen.
Ob die Privatisierungsgegner oder die
Befürworter Recht haben, wird sich herausstellen, wenn die Unterschriften
der Initiative im Rathaus geprüft sind und der Stadtrat anschließend über
die Zulässigkeit des Begehrens entscheiden muss. „Dann stehen rechtliche
Fragen im Vordergrund – zum Beispiel, ob der Text des Bürgerbegehrens mit
dem geplanten und dann möglicherweise gefassten Ratsbeschluss
übereinstimmt“, sagt Josef Fischer, Leiter des Amtes für Statistik und
Wahlen.
Die Privatisierungsgegner
haben bereits angekündigt, dass sie das Verwaltungsgericht anrufen werden,
wenn die Stadt bei der Anerkennung ihres Bürgerbegehrens Probleme machen
sollte. „Notfalls ziehen wir vor Gericht“, erklärt Nagler.
Im Falle der Zulässigkeit ist anschließend
innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid durchzuführen – wie eine
Kommunalwahl mit Wahllokalen und Stimmzetteln. Bei ihm muss sich die
Mehrheit, mindestens aber 25 Prozent der wahlberechtigten Leipziger, für
die Aufhebung des Privatisierungsbeschlusses aussprechen. Das wären
derzeit reichlich 100 000 wahlberechtigte Leipziger.
Andreas
Tappert |